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Artikel 17. Januar 2012
Bemannte SOJUS-Flüge von Kourou zweifelhaft
SOJUS TMA-Kapseln müßten massiv umkonstruiert werden, um Notwasserungen zu ermöglichen

SOJUS-Startrampe in Kourou
Oben: Die SOJUS-Startrampe am Raumfahrtzentrum Guyana. Gut zu erkennen ist der mobile Zugangsturm, der über die Rakete gefahren werden kann, um die Nutzlast aufzusetzen und sie vor dem Regen zu schützen, der in tropischen Gefilden an der Tagesordnung ist. (Photo: ESA/S. Corvaja)
Die Europäische Raumfahrtorganisation ESA hat lange die Hoffnung gehegt, eines Tages Menschen mit den russischen SOJUS-Raumfahrzeugen von ihrem Raumhafen in Französisch Guyana starten zu können. Wie die auf Raumfahrt spezialisierte Nachrichtenseite Space.com jetzt erfahren hat, ist dies aber wahrscheinlich unmöglich.

Die ESA hatte in der Vergangenheit immer behauptet, daß für bemannte SOJUS TMA Flüge nur die Infrastruktur am Startplatz geändert werden muß. Tatsächlich wußte die ESA aber schon seit 2004, daß solche Raumfahrzeuge nicht vom französischen Überseeterritorium in Südamerika aus gestartet werden könnten.

Einer ESA-Studie zufolge, die zwischen 2001 und 2004 durchgeführt wurde, wurden die SOJUS-Raumkapseln nicht für eine Landung im Wasser konstruiert. Bei einem Start von Französisch Guyana hätte aber ein Abbruch kurz nach dem Abbheben bedeutet, daß die Kapsel im Atlantik hätte niedergehen müssen, was die Kapsel und seine Besatzung gefährdet hätte.

Die SOJUS-Raumfahrzeuge sind bislang immer auf Land niedergegangen, und zwar in der früheren Sowjetrepublik Kasachstan.

Fernziel bemannte Starts

Bemannte SOJUS-Starts von französischem Territorium waren von jeher eine erklärte Hoffnung der ESA, seit die Arbeit an dem Programm "SOJUS am Raumfahrtzentrum Guyana" begann. Dieses Programm fand seinen ersten Höhepunkt in dem ersten Start einer unbemannten SOJUS-Trägerrakete von Kourou am 21. Oktober 2011.

SOJUS-Raketen von dieser äquatornahen Position aus zu starten, hat den Vorteil, daß die Nutzlastkapazität für das Einschießen in eine geostationäre Transferbahn doppelt so hoch ist, wie bei einem Start vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan oder von Plessetsk in Rußland, den anderen beiden SOJUS-Startplätzen. Bei einem Start in Äquatornähe bekommt die Rakete nämlich einen besonders hohen Geschwindigkeitsvortrag durch die Erdrotation.

Obwohl die ESA über das Problem der Wasserlandung Bescheid wußte, behauptet die SOJUS-Informationsseite der ESA: "Um sicherzustellen, daß Missionen dieser Art vom Raumhafen Guyana aus durchgeführt werden können, wurde die Startinfrastruktur [in Fr. Guyana] so entworfen, daß sie problemlos für [die Durchführung] bemannte[r] Raumflüge angepaßt werden kann, sollte dies entschieden werden." Nicht erwähnt wird dabei, daß dafür auch die SOJUS TMA umfangreich umkonstruiert werden müßte, um im Wasser landen zu können.

Berichtsergebnisse

Start von VS01
Oben: Der Start der ersten SOJUS-Trägerrakete, Mission VS01, von Kourou am 21. Oktober 2011, weihte die Startrampe für den Startbetrieb ein. (Photo: ESA)
Space.com ist in den Besitz eines technischen Berichts über die Studie von 2004 gelangt, die vom Direktorat für Trägerraketen der ESA im Rahmen des Programms "SOJUS am Raumfahrtzentrum Guyana" durchgeführt wurde.

Dem Bericht zufolge "ist die [SOJUS-]Wiedereintrittskapsel nicht dafür entworfen worden, auf dem Wasser zu schwimmen, und seine Evakuierung nach einer Wasserung im Ozean könnte sich für die Besatzung als eine besonders schwierige Herausforderung herausstellen." Solche Schwierigkeiten bedeuten eine deutlich erhöhte Gefährdung für das Leben der Besatzung.

Die ESA hat die Studie noch nicht in vollem Umfang der Öffentlichkeit verfügbar gemacht. Seit 2004 hat die ESA aber auch keine weiteren Anstrengungen unternommen, das Thema weiter zu verfolgen.

Als Reaktion auf die Ergebnisse des Berichts erklärten Verantwortliche der ESA gegenüber Space.com: "Theoretisch ist alles möglich, aber bemannte Raumflüge von [Fr. Guyana] wären ein größeres Unterfangen, das hohe Investitionen erfordert."

Die Verantwortlichen der Raumfahrtorganisation äußerten auch Zweifel darüber, ob die SOJUS überhaupt für eine Wasserlandung modifiziert werden könne. "Für den Fall einer Landung im Ozean müßten wir erst nachprüfen, ob sich der derzeitige [SOJUS-]Kapseltyp überhaupt [für eine Wasserung] anpassen läßt", erklärten sie.

Änderungen in der Infrastruktur

Im Jahr 2010 hatte Rußland das erste Exemplar einer neuen Serie von SOJUS TMA Raumfahrzeugen gestartet, die mit digitalen Flugsteuerungsinstrumenten ausgestattet sind. Bei diesem ersten Flug der Version mit dem Zusatz "M", SOJUS TMA-01M, traten Probleme auf.

Während des Starts am 8. Oktober 2010 erfuhren die digitalen Systeme der SOJUS eine Rechnerfehlfunktion, wodurch die Kosmonauten an Bord keine Flugdaten mehr angezeigt bekamen. Das Raumfahrzeug landete im März 2011 sicher und die zweite digitale SOJUS TMA-02M startete später im Juni 2011 erfolgreich. Aber die Proble der TMA-01M zeigen klar, wie schwierig es ist, ein Raumfahrzeug zu modifizieren.

In der Zwischenzeit wurde auch die SOJUS-Trägerrakete selbst den Erfordernissen der ESA entsprechend abgeändert.

Die Trägerrakete mit der generellen Bezeichnung SOJUS-ST gibt es in zwei Versionen, der SOJUS 2-1a und 2-1b. Beide besitzen zusätzliche elektronische Flugsicherheitssysteme, die die ESA gefordert hatte, sowie eine verlängerte Nutzlastkappe, während der Unterschied zwischen der 1a und der 1b in unterschiedlichen Modifikationen der dritten Stufe besteht.

Obwohl die SOJUS-Startrampe in Fr. Guyana weitestgehend eine Nachbildung der Rampen in Baikonur und Plessetsk ist, besitzt sie einen mobilen Zugangsturm, der die Rakete vor Regen schützen kann.

In Abänderung des russischen Startvorbereitungsablaufs montiert die ESA die Nutzlaststufe auf den Träger, wenn dieser schon auf der Startrampe aufgerichtet ist und im Turm steht. In Rußland (bzw. Kasachstan) werden die Nutzlaststufen bereits montiert, wenn die Rakete während der Endmontage noch in der Horizontalen liegt.

Zusätzlich zu der Schwierigkeit die SOJUS für eine Wasserlandung zu modifizieren, wären für bemannte SOJUS Starts von Südamerika aus eine Reihe von Änderungen an der Infrastruktur notwendig.

Die Studie von 2004 listet hierfür eine astronautenspezifische Zugangsplattform im mobilen Turm, einen zusätzlichen Aufzug, ein Astronauten-Notrutschensystem, eine neue Vakuumkammer für Dichtigkeitstests an der Kapsel, eine Kammer zum Testen der elektromagnetischen Kompatibilität, eine zusätzliche mobile S-Band-Sendeanlage, Versorgungseinrichtungen für Strom, Fluide und mechanische Unterstützung, die Abholzung des Waldes in einem Umkreis von 5 km um die Startrampe herum für Startabbrüche, die eine Landung an Land zur Folge haben, und einen neuen Transportbehälter, um die SOJUS TMA-Raumfahrzeuge von Rußland nach Kourou zu verbringen, auf. All diese Probleme sind vom technischen Gesichtspunkt einfacher zu lösen, als die Umkonstruktion der SOJUS für eine Wasserlandung.

Für viele Jahre hatte die ESA auf die Möglichkeit geschaut, bemannte Flüge von Kourou mit ihrer von EADS hergestellten Ariane 5 Trägerrakete durchzuführen.

Der ursprüngliche Plan war, die Miniraumfähre HERMES auf der Ariane 5 zu starten, aber nach dem Unglück der amerikanischen Raumfähre CHALLENGER im Jahr 1986 zeigte sich, daß nach Einbau zusätzlicher Sicherungssysteme der HERMES nicht mehr für die ihm zugedachten Aufgaben geeignet war und das Projekt wurde fallengelassen. In den letzten Jahren denkt die ESA wieder über eine Evolution des erfolgreichen Automatischen Transferfahrzeugs (ATV) über eine Rückkehrvariante (ARV) zu einer bemannten Variante hin nach.

Die französische Raumfahrtbehörde CNES hat auch eine Studie darüber in Auftrag gegeben, ob die Raumkapsel ORION der NASA mit der Ariane 5 gestartet werden könnte.

Quelle: Space.com
Bearbeitet von: Matthias Pätzold

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letzte Änderung am 19. Januar MMXII