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Artikel Samstag, 17. Juni 2006
DISCOVERY startet am 1. Juli
NASA-Administrator entscheidet für die Durchführung des Fluges trotz Bedenken zweier hochrangiger Ingenieure

Flugbereitschaftsabnahme
Oben: Ein Blick in die Flugbereitschaftsabnahmebesprechung an der neben der Programmleitung bis zu 250 NASA-Mitarbeiter des Raumfährenprogramms teilgenommen haben. Am Tisch in der Mitte sitzen u.a. der beigeordnete Administrator für Weltraumoperationen Bill Gerstenmeier, Startdirektor Mike Leinbach und Shuttle-Programmdirektor Wayne Hale. (Photo: NASA/KSC)
Hochrangige NASA-Funktionäre gaben am Samstag die Raumfähre DISCOVERY für einen Start am 1. Juli 2006 zur Internationalen Raumstation frei.

Die Entscheidung wurde nach einer ausgedehnten Flugbereitschaftsabnahmebesprechung bekanntgegeben, einer traditionellen Konferenz, in der die wichtigsten Leiter der NASA und Ingenieure über Starttermin und die Flugbereitschaft der komplexen Ausrüstung, der Hilfssysteme und Verfahren, sowie die mit der Mission verbundenen Risiken diskutieren.

"Wir hatten ganze zwei Tage eine intensive Flugbereitschaftsbesprechung", erklärte NASA-Administrator Mike Griffin. "Es ging sehr lebhaft zu und war eine der offensten, aber dennoch nicht feindselig gestimmte Besprechung, die ich mitgemacht habe, seit ich zur NASA zurückgekehrt bin."

NASA-Startdirektor Mike Leinbach erklärte: "Wir verfolgen zur Zeit keine größeren Probleme, die den Start verzögern könnten. Unser Countdown startet am 28 Juni und führt uns zu T-0 am 1. Juli. Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, warum es am 1. Juli nicht losgehen sollte. Mit DISCOVERY auf der Rampe läuft alles gut und mit ATLANTIS ebenso."

Kommandant Steve Lindsey und seine sechs Besatzungskollegen sollen um 21:48 Uhr MESZ zu ihrer zwölftägigen Mission STS-121 aufbrechen. Die Besatzung der DISCOVERY wird neue Geräte und Techniken zur Verbesserung der Flugsicherheit der Raumfähre testen, sowie Versorgungsgüter liefern, Reparaturen ausführen und ein drittes Besatzungsmitglied zur Station bringen.

"Wir waren wirklich sehr darauf bedacht alles so gründlich wie möglich auszuwerten", meinte der beigeordnete Administrator für Weltraumoperationen, Bill Gerstenmeier, der den Vorsitz über die Besprechung geführt hatte. "Aber die Diskussion über die Eis-/Frostrampen war eine, die am energischten geführt wurde."

Eis-/Frostrampen
Oben: Diese Abbildung zeigt die Positionen der 36 Eis-/Frostrampen am Außentank. Eis-/Frostrampen sind Stücke aus Isolierschaum, die Halteklammern an Druckleitungen isolieren. Ihre Form soll ungünstiges Luftströmungsverhalten an diesem Ort minimieren. (Abbildung: NASA)
Die Eis-/Frostrampen sind Strukturen aus Isolierschaum die 34 Klammern an der Außenseite des Außentanks bedecken. Die Rampen wurden als mögliche Quelle für abplatzenden Schaum genannt, der Schaden am Orbiter verursachen kann. Der Ausschuß zur Abnahme der Flugbereitschaft entschied, daß die derzeitige Form der Rampen kein genügend hohes Risiko darstelle, um eine Verschiebung der anstehenden Mission zu rechtfertigen, während Konstruktionsverbesserungen für spätere Flüge in der Entwicklung sind.

"Es gab eine Menge unterschiedlicher Standpunkte, ob wir für einen Flug bereit seien oder nicht", erläuterte Griffin den am Kennedy Raumfahrtzentrum (KSC) versammelten Reportern. "Wir haben uns dafür entschieden."

Zwei hochrangige Leiter der NASA, Chefingenieur Chris Scolese und der beigeordnete Administrator für Betriebs- und Missionssicherheit Bryan O'Connor, hatten Bedenken wegen eines möglichen Risikos von abfallenden Schaumstücken von den Eis-/Frostrampen geäußert.

"Aus ihrem speziellen Blickwinkel heraus hatten sie das Gefühl, daß sie kein grünes Licht geben könnten", sagte Bill Gerstenmeier. "Aber sie widersprechen nicht unserer Entscheidung zu fliegen und verstehen unsere Gründe und Argumente für einen Flug, die wir während der Besprechung dargelegt haben."

Die Einwendungen drehten sich in erster Linie darum, wie das Risiko für abfallende Schaumstücke von den Eis-/Frostrampen eingeordnet werden solle. Die NASAverwendet hierzu eine Matrix, die die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses mit der Schwere der Folgen kombiniert. Die Bedenkensträger wollten das Risiko als "wahrscheinlich/katastrophal" einordnen, was bedeutet, daß die Eis-/Frostrampen wahrscheinlich Schaumstücke verlieren werden, was während der Restlaufzeit des Shuttle-Programms zu einem katastrophalen Ereignis führen kann.

Griffin erklärte den Reportern, daß er mit dieser Klassifizierung nicht übereinstimme und fügte hinzu, daß selbst im schlimmsten anzunehmenden Falls die Astronauten nicht in unmittelbarer Gefahr wären. Wegen der neuen Kameras und anderer Sensoren könne jeglicher Schaden entdeckt werden und die Besatzung könne versuchen, es entweder zu reparieren oder an Bord der Raumststion herüberzuwechseln und darauf zu warten von einer anderen Raumfähre gerettet zu werden.

Griffin erläuterte seinen Standpunkt recht umfassend:
"Ich habe keine Bedenken darüber in welchem Kästchen wir sind; das ist eine Frage von Begriffen und Definitionen. Tatsächlich stimme ich nicht damit überein, dieses Risiko als 'wahrscheinlich' einstufen. Denn wenn es 'wahrscheinlich' ist, dann bedeutet das, daß wir während einer bestimmten Anzahl von Flügen ein solches Ereignis zu erwarten haben. Wir können uns nun als Statistiker darüber streiten, wie hoch der Prozentsatz dafür ist, aber wenn wir 'wahrscheinlich' sagen, dann heißt das, daß wir es während einer bestimmten Spanne von Aktivitäten sehen sollten. Und ich werde das an diesem Punkt nicht weiter vertiefen.

Nun, tatsächlich haben wir bereits 114 Flüge mit diesem Fluggerät, mit diesen Eis-/Frostrampen hinter uns gebracht. Und obwohl wir zwei Unfälle hatten, bei denen wir Fluggeräte verloren haben, waren bei keinem die Eis-/Frostrampen die Ursache dafür. Deshalb habe ich echte Schwierigkeiten damit zu glauben, daß eine statistisch stichhaltige Aussage lauten soll, daß dies für die nächsten 16 Flüge ein 'wahrscheinlich' auftretendes Ereignis sein soll. Ich habe da einfach meine Schwierigkeiten mit.

Nun, abgesehen von dieser Bezeichnung, lassen wir diese Bezeichnung mal weg, worum es geht ist, denken wir tatsächlich, daß wenn wir mit diesen Eis-Frostrampen fliegen, so wie sie sind, nur für eine kleine Anzahl, nicht 16, sondern eine sehr kleine Anzahl von Flügen, bis wir eine bessere Konstruktion haben - und lassen sie mich der erste sein, der sagt, wir brauchen unbedingt eine bessere Konstruktion, wir müssen wissen, daß sie besser ist, und wir wollen uns auch genügend Zeit dafür nehmen - die Frage ist also, können wir ein paar Mal mit diesen Eis-/Frostrampen fliegen, ohne uns einer Gefahr auszusetzen? Und anhand der Daten, die ich gesehen habe, glaube ich, daß wir das können.

Ich denke, daß unsere Modelle recht konservativ sind; ich denke, daß unsere Modelle eine große Abweichung in sich tragen; wir wissen nicht soviel über dieses Phänomen, wie wir es gern hätten. Denn wenn wir unseren Modellen glauben schenkten, müßten wir glauben, daß wir ein schlimmeres Problem haben, als unsere Flugdaten uns zeigen, was soviel bedeutet, daß wir nicht soviel verstanden haben, wie wir gern verstanden hätten. Wir müssen weiter hungrig sein; wir müssen weiter die Informationen ausgraben, die uns das Fahrzeug mitteilen will. Aber wir müssen fliegen, um weitergraben zu können.

Also, wie kann ich das rechtfertigen? Mit der Unsicherheit die wir haben, ... ich würde sicherlich besser darüber nachdenken, ob ich eine Besatzung in dieses Fahrzeug setze, wenn ich der Ansicht wäre, daß sie nicht die Option der Raumstation als sicheren Hafen und die Option eines Starts bei Bedarf (Rettungsflug), und, sollte es ganz dick kommen, die Option, russische Sojus-Raumfahrzeuge zur Rettung heranzuziehen, hätten. ich sehe nicht, daß wir in der Situation wären, eine Besatzung verlieren zu können.

Sollten wir Pech haben und wir während des Aufstiegs einen Zwischenfall mit einem abfallenden Stück haben, dann wird dies den Aufstieg nicht behindern, die Besatzung wird sicher die Umlaufbahn erreichen und dann werden wir uns unsere Optionen anschauen, ob wir eine Reparatur versuchen, einen Rettungsflug starten, die Raumstation als sicheren Hafen nutzen oder unsere russischen Partner um Hilfe bitten, vielleicht auch alles zusammen. Wir werden Entscheidungen treffen müssen, aber wir werden Zeit haben, diese Entscheidungen zu treffen. Wir sind nicht in der gleichen Situation, wie bei der COLUMBIA, wo wir nicht wußten, daß wir ein Problem hatten. Wir würden wissen, daß wir ein Problem haben; wir haben uns entschieden, das Risiko einzugehen; wir glauben, nicht, daß wir eine Besatzung riskieren.

Es gibt hier ein programmatisches Risiko, ohne Zweifel. Wenn wir einen weiteren größeren Unfall beim Start einer Raumfähre erleben, würde ich nicht wollen, das Programm weiter fortgesetzt wird. Wir werden diesen Flug und die folgenden dazu nutzen, die Raumstation fertigzustellen; das ist es, was wir mit dem Shuttle machen wollen; innerhalb der nächsten drei Jahre werden wir die Raumstation fertigstellen. Wir glauben, das das möglich ist. Aber wenn es möglich ist, das zu tun, dann müssen wir auch einige programmatische Risiken eingehen, denn die Raumfähren werden 2010 außer Dienst gestellt.

Das Budget des Präsidenten wird keine Finanzierung der Raumfähren über das Jahr 2010 enthalten. Wenn wir also fliegen, dann müssen wir einige programmatische Risiken eingehen und damit fortfahren. Ich möchte noch einmal hervorheben: Ein programmatisches Risiko einzugehen, ist für mich nicht dasselbe, wie ein Risiko für die Besatzung zu akzeptieren, und wir denken nicht, das wir das tun."

Quelle: NASA/Space.com/SpaceflightNow
Bearbeitet von: Matthias Pätzold


letzte Änderung am 18. Juni MMVI