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Artikel 28. November 2018
Russen haben Schwierigkeiten, Zuverlässigkeit der Sojus sicherzustellen
Raumfahrtexperte warnt im Vorfeld von nächstem bemannten Sojus-Start zur ISS

Obwohl die Sojus-Raumfahrzeuge schon seit Jahrzehnten mit großer Zuverlässigkeit Raumfahrer in's All gebracht haben, haben Veränderungen in der russischen Raumfahrtindustrie nun dazu geführt, daß Rußland darum kämpfen muß, die Sicherheit bei ihren Raumflügen weiter zu gewährleisten, wie ein Experte für das russische Raumfahrtprogramm meint. Nichtsdestoweniger erwarte er im Vorfeld des Starts der Expedition 58 Besatzung am 3. Dezember mehr Sicherheitsüberprüfungen als bisher.

"Die russische Raumfahrtindustrie hat eine Menge Probleme, wie steigende Kosten, ökonomische und technologische Ineffizienz, Probleme mit dem Bildungskapital, und so weiter. All das kann dazu führen, daß die Fabriken an Fertigungsqualität einbüßen", meinte Pawel Lusin, ein russischer Forscher und Berater, dessen Fachgebiet die russische Raumfahrt beinhaltet, in einer E-Mail gegenüber Space.com.

"[Jüngste] Notfälle mit bemannten Sojus-Raumfahrzeugen beeinträchtigen die Reputation der russischen Raumfahrtindustrie, die sowieso schon seit Jahren angeschlagen ist, wie auch die internationale Reputation Rußlands als ein vertrauenswürdiger Partner im All", fügte Lusin hinzu.

Neue Probleme mit der Sojus

Sojus an der ISS
Oben: Ein Sojus-Raumfahrzeug, angekoppelt an der ISS. Photo: NASA
Sojus-Raumfahrzeuge sind seit den 1960er Jahren im Einsatz, also seit gut 50 Jahren. Bisher gab es zwei tödliche Unfälle mit ihnen, in den Jahren 1968 und 1971, aber seither hat jede Besatzung Start und Wiedereintritt überlebt: Rußland hat die Sojus eingesetzt, um an verschiedenen Raumstationen anzulegen, mehreren sowjetischen und russischen, sowie an der ISS, seit der Bau des Orbitalkomplexes vor ziemlich genau 20 Jahren begann.

Die NASA hatte dagegen seit 1981 begonnen, die meisten ihrer Astronauten mit ihren Raumfähren in's All zu bringen (ein Programm, das selbst zwei tödliche Unfälle in den Jahren 1986 und 2003 zu verzeichnen hatte). Das Programm war 2011 beendet worden, als der Aufbau der Internationalen Raumstation abgeschlossen war. Als Folge mußte die NASA für ihre Astronauten Sitze in Sojus-Raumkapseln kaufen, um weiter Zugang zur Raumstation zu bekommen; diese Kosten beliefen sich Mitte 2018 auf $70 Millionen pro Person und Mission.

Die Russen lieferten dafür Besatzung für Besatzung zuverlässig zur ISS ... bis zu diesem Jahr. Zwei Probleme kamen in den letzten Monaten auf. Das erste betraf die Sojus MS-09, die am 6. Juni die Expedition 56 Besatzung mit Alexander Gerst zur Station brachte; während der Flug selbst einwandfrei verlief, entdeckten die Astronauten und das Missionsleitzentrum der NASA später ein Leck in der Sojus, das auf ein möglicherweise falsch gebohrtes Loch zurückgeführt werden konnte. Die Untersuchung zu dem Vorfall dauert noch an. (Man beachte, daß sich das Loch nicht in dem Teil der Sojus befindet, mit dem die Raumfahrer zur Erde zurückkehren werden.)

"Wir setzen die Untersuchung fort. Die Ergebnisse könnten zur Verfügung stehen, wenn die derzeitige Besatzung von der Station zurückkehrt, also nach dem 20. Dezember", zitiert die russische Nachrichtenagentur TASS den Chef der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin, in einem Bericht vom 19. November. Er fügte hinzu, daß Roskosmos und die NASA sehr eng zusammenarbeiten würden, um die Gefahren zu minimieren, einschließlich des Aufstellens von Szenarien, bei denen die Besatzung evakuiert werden müsse; allerdings ist dies sehr unwahrscheinlich, da die Astronauten das Loch sehr schnell mit Epoxy-Pflastern abgedichtet hatten.

Dann, am 11. Oktober 2018, verlor die Expedition 57 Besatzung ihre Chance in's All zu kommen, als die Sojus-Trägerrakete, die ihr Sojus-Raumfahrzeug (beide tragen denselben Namen) in's All bringen sollte, eine Fehlfunktion erlitt. Das Notfallabbruchsystem des Raumfahrzeugs funktionierte einwandfrei und die Besatzung landete sicher auf der Erde. Inzwischen zeigte eine Untersuchung des Vorfalls, daß ein verbogener Sensor verhindert hatte, daß die Rakete richtig funktionierte.

Roskosmos hatte diese Untersuchung sehr schnell abgeschlossen. Sie benötigten gerade einmal einen Monat, um die Ursache des Unfalls zu ermitteln. Die Untersuchung wurde zusammen mit der NASA durchgeführt, und in Kommentaren kurz nach dem Unfall kündigte die NASA an, daß sie eine eigene unabhängige Flugsicherheitsabnahme durchführen wolle, bevor die Sojus-Träger wieder für den Transport von Besatzungen freigegeben würden. Dies ist offensichtlich geschehen, da die Sojus im November wieder die Flugfreigabe erhalten hatte.

"Die Untersuchung ging schnell, da die Unfallursache klar war. Wenn man die Minute und die Sekunde des Vorfalls kennt, dann weiß man, was zu diesem Zeitpunkt gerade alles läuft", erklärte Lusin. "Dadurch ist es wesentlich einfacher die Situation zu analysieren. Vergleichen Sie dies mit dem Loch in der Sojus MS-09. Derzeit kann uns die Untersuchung keine sinnvolle Erklärung liefern, was während der Fertigung der Sojus und während ihrer Startabfertigung schief gelaufen ist."

Blick nach vorne

Die ISS ist seit dem Jahr 2000 durchgehend bemannt. Dies wurde selbst in schwierigen Zeiten beibehalten, wie z. B. als im Jahr 2015 mehrere Versorgungstransporter beim Start verloren gingen, oder nach dem schweren Columbia-Unglück vom 1. Februar 2003, wodurch die amerikanischen Raumfähren zwei Jahre am Boden bleiben mußten. Nach einem Testflug in 2005 wurden die regelmäßigen Flüge erst 2006 wieder aufgenommen.

Die Vereinigten Staaten und Rußland gerieten auch in Streit über die militärischen Aktivitäten Rußlands auf der Krim und in der Ostukraine, die im Jahr 2014 begannen. Während sich Roskosmos mit der NASA über die Sanktionen, die die USA Rußland in der Folge auferlegte, auseinandersetzte, gingen die Sojus-Starts planmäßig weiter.

Derzeit sind drei Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation, und sie sollten ursprünglich Anfang Dezember zur Erde zurückkehren. Um die Station ständig besetzt zu halten, wurde entschieden, den Start der Expedition 58 um drei Wochen vom 20. auf den 3. Dezember vorzuverlegen und die Expedition 57 dafür bis zum 20. Dezember an Bord zu lassen. Dies wird es den Besatzungen ermöglichen, eine saubere Übergabe durchzuführen und den Stationsbetrieb aufrecht zu halten.

Durch diese Entscheidung bleibt aber der Außenposten die nächsten paar Monate nur mit drei Besatzungsmitgliedern besetzt, statt der bevorzugten sechs. Das kanadische Expedition 58 Besatzungsmitglied David Saint-Jaques sagte im Oktober gegenüber Reportern, daß dies weniger Forschung für seine Besatzung bedeute, ebenso wie weniger Möglichkeiten, Außeneinsätze durchzuführen, da Wartungsaktivitäten Vorrang haben.

Lusin meinte, er sei nicht unbedingt besorgt über den anstehenden Start, denn er erwarte, daß die Russen mehr Überprüfungen und Kontrollen durchführen werden, um die Sicherheit der Sojus zu gewährleisten. Ungeachtet dessen müssen die ISS-Partner weiter die Sojus benutzen, ganz gleich, welche Maßnahmen getroffen werden, da im Moment noch kein anderes Raumfahrzeug für den Personentransport zur ISS zur Verfügung steht.

Das soll sich allerdings bald ändern, wenn die kommerziellen bemannten Raumfahrzeuge fertig sind. Die NASA und SpaceX haben inzwischen bekannt gegeben, daß der erste unbemannte Testflug der Crew Dragon am 8. Januar erfolgen soll. Der erste unbemannte Testflug von Boeings CST-100 Starliner soll zu einem noch nicht bekanntgegeben Zeitpunkt, mglw. im März, folgen. Bemannte Flüge sollen voraussichtlich im Sommer 2019 oder gar erst in 2020 folgen. Wenn dies geschieht, braucht die NASA keine Sitze mehr von den Russen zu kaufen. Diese werden aber weiterhin Kosmonauten und Astronauten anderer Länder zur ISS transportieren, und die internationale Teilnahme and der Raumstation wird voraussichtlich noch bis mindestens 2024 weitergehen.

Die NASA drängt derweil ihre internationalen Partner, sich mit an der von der Behörde angedachten mondorbitalen Plattformstation zu beteiligen, eine den Mond umkreisende Raumstation, die die NASA hofft, ab 2020 aufbauen und betreiben zu können. Luzin meinte, daß sich die Russen an dieser Station auch beteiligen wollen. (Tatsächlich fand Lusin entsprechende Kommentare interessant, die am 19. November im russischen Nachrichtenkanal Sputnik veröffentlicht wurden.)

"Die Partnerschaft an der ISS ist sehr gut institutionalisiert und Rußland hat den offiziellen Status als 'gleichberechtigter Partner der USA' ", erklärte Lusin. "Moskau möchte diesen Status erhalten, denn dies ist die dritte Sache nach dem Atomwaffenarsenal und dem permanenten Sitz im Sicherheitsrat der UN, die Rußland einen Großmachtstatus verleiht."

Quelle: Space.com
Bearbeitet von: Matthias Pätzold


letzte Änderung am 30. November 2018