Zurück zur Startseite Forschung
Zurück zur Startseite Zurück zur Forschung-Indexseite
Artikel 20. April 2004
Auf der Suche nach der bewegten Schwerkraft
Gravity Probe B hat die Erde verlassen, um eine langgesuchte winzige Kraft der Natur aufzuspüren

NASA's Raumsonde Gravity Probe B hat heute Morgen die Erde verlassen, um nach einer Naturphänomen zu suchen, dessen Existenz schon seit langem vermutet wurde, bisher aber noch nicht bewiesen werden konnte: den Gravitodynamischen Kräften.

Gravitodynamische Felder werden durch die Rotation von Sternen und Planeten erzeugt. "Sie sind in ihrer Art den Magnetfeldern vergleichbar, die von einer rotierenden Kugel aus Ladungen erzeugt werden", erklärt der Physiker Clifford Will von der Washington Universität in St. Louis. Ersetzt man Ladung durch Masse wird aus dem Magnetfeld ein gravitodynamisches Feld.

In unserem Alltag auf der Erde merken wir nichts von diesen gravitodynamischen Kräften, aber nach Einstein's allgemeiner Relativitätstheorie sind sie Realität. Wenn ein Planet (oder ein Stern oder ein schwarzes Loch ... oder irgendetwas anderes mit großer Masse) sich um sich selbst dreht, zieht er Raum und Zeit mit um sich herum, ein Vorgang, der als "Bezugsrahmenverschiebung" bekannt ist. Das "Gewebe" der Raumzeit, die Metrik, wird wie in einem Wirbel verdreht. Einstein hat uns nun gesagt, daß alle Schwerkräfte mit einer Krümmung der Raumzeit einhergehen. Diese Verzwirbelungen sind die gravitodynamischen Kräfte.

Die Raumzeit in der 
Umgebung der Erde
Oben: Diese Abbildung zeigt, wie die Raumzeit in der Umgebung der Erde durch das gravitostatische und das gravitodynamische Feld der Erde verzerrt wird. Letzteres verdreht die Metrik in Rotationsrichtung. Allerdings ist dieser Effekt nur sehr schwach. (Abbildung: NASA)
Was ist der Effekt des gravitodynamischen Feldes? "Es sorgt dafür, daß die Umlaufbahnen von Satelliten präzedieren", sagt Will, "und es bringt einen Kreisel, der in die Erdumlaufbahn plaziert wird, zum Taumeln." Beide Effekte sind nur sehr klein und sehr schwer zu messen.

Forscher unter der Leitung des Physikers Ignazio Ciufolini haben versucht, die gravitodynamische Präzession von Satellitenumlaufbahnen zu messen. Für ihre Untersuchung verwendeten sie die Laser Geodynamischen Satelliten LAGEOS I & II, zwei 60 cm durchmessende Kugeln gespickt mit Spiegeln. Präzise Laserentfernungsmessungen des Paares ermöglichte es, ihre Umlaufbahnen zu überwachen. Die Forscher fanden einen kleinen Anteil an Präzession (um die 20%), der mit der Gravitodynamik konsistent ist. Aber es gibt ein Problem: Der äquatoriale Wulst der Erde zieht ebenfalls an den Satelliten und bewirkt eine Präzession, die eine Milliarde Mal stärker ist, als die durch das gravitodynamische Feld. Haben Ciufolini und seine Kollegen diesen enormen Zug mit genügend großer Genauigkeit abgezogen, als sie die gravitodynamische Kraft messen wollten? Viele Wissenschaftler akzeptieren ihre Ergebnisse, bemerkt Will, während andere skeptisch bleiben.

Die Raumsonde Gravity Probe B, die von Wissenschaftlern der Stanford Universität, der NASA und von Lockheed Martin entwickelt wurde, wird dies mit einem anderen Experiment durchführen, indem es Kreisel verwendet.

Die Raumsonde umkreist die Erde auf einer Polarbahn in 640 km Höhe. An Bord befinden sich vier Kreisel, jeder eine Kugel 3,8 cm im Durchmesser, von Vakuum umgeben und mit 10.000 Umdrehungen pro Minute rotierend. Wenn Einstein's Gleichungen richtig sind, und gravitodynamische Felder existieren, dann müssen die rotierenden Kreisel anfangen zu taumeln, wenn sie die Erde umrunden. Ihre Rotationsachsen müssen sich verschieben, Stück um Stück, bis sie in einem Jahr etwa 42 Millibogensekunden weit gewandert sind. Gravity Probe B kann diesen Winkel mit einer Genauigkeit von 0.5 Millibogensekunden (etwa 1%) messen.

Jeder Winkel im Millibogensekundenbereich ist sehr winzig. Man bedenke: Eine Bogensekunde entspricht einem 3600stel eines Grades und eine Millibogensekunde ist noch 1000 Mal kleiner. Die Geanauigkeit von einer halben Millibogensekunde, die von Gravity Probe B erwartet wird, entspricht der Dicke eines Blattes Papier aus einer Entfernung von 160 Kilometern betrachtet.

Das Messen von so winzigen Taumelbewegungen ist eine große Herausforderung, was die Wissenschaftler des Gravity Probe B Projektes dazu veranlaßt hat, völlig neue Technologien zu entwickeln, um dies möglich zu machen.

Ein Ausschuß des nationalen Forschungsrates, dem auch Clifford Will angehörte, schrieb 1995: "Im Verlauf der Entwicklungsarbeit am Gravity Probe B Projekt hat das Team brillante und echte Beiträge in grundlegenden Bereichen der Physik und der Technik geliefert. Die Mitglieder gehörten zu den ersten, die das London-Moment eines rotierenden Supraleiters gemessen haben, die ersten, die die Methode der supraleitenden Tasche zum Ausschluß magnetischer Ströme verwendeten, und die ersten, die einen 'porösen Stopfen' einsetzten, um superfluides Helium ohne Druckaufbau einzuschließen. Sie erfanden und bestätigten das Konzept eines Widerstandsfreien Satelliten und zuletzt haben einige Gruppenmitglieder Pionierarbeit auf dem Gebiet der differentiellen Verwendung des Globalen Ortsbestimmungssystems (GPS) geleistet, um ein höchst zuverlässiges und präzises Luftfahrzeuglandesystem zu entwickeln."

Meßkreisel von 
GP-B
Oben: Rechts: GP-B's Gyroskope sind die rundesten Objekte, die jemals hergestellt wurden. Ingenieure am Mrshall Raumflugzentrum der NASA polierten sie auf eine Rundheitstoleranz von nur 0,01 Mikrometer (ca. 40 Atomdurchmesser), d.h. die maximale Abweichung von der perfekten Kugelform beträgt nur einen hunderttausendstel Millimeter. Unregelmäßigkeiten mußten entfernt werden; ansonsten würden die Kreisel auch ohne die gravitodynamischen Einflüße schon von sich aus aufgrund der ihnen anhaftenden winzigen Unwuchten in's Taumeln geraten. (Photo: NASA)
Nicht schlecht für reine Grundlagenforschung.

Rechts: GP-B's Gyroskope sind die rundesten Objekte, die jemals hergestellt wurden. Ingenieure am Mrshall Raumflugzentrum der NASA polierten sie auf eine Rundheitstoleranz von nur 0,01 Mikrometer (ca. 40 Atomdurchmesser), d.h. die maximale Abweichung von der perfekten Kugelform beträgt nur einen hunderttausendstel Millimeter. Unregelmäßigkeiten mußten entfernt werden; ansonsten würden die Kreisel auch ohne die gravitodynamischen Einflüße schon von sich aus aufgrund der ihnen anhaftenden winzigen Unwuchten in's Taumeln geraten.

Physiker sind wegen Gravity Probe B sowohl in Sorge, als auch in Aufregung. Sie sind in Sorge, weil die gravitodynamischen Felder vielleicht nicht da sein könnten. Einstein's Theorie könnte sich dann als falsch erweisen (eine Möglichkeit, die als sehr unwahrscheinlich angesehen wird) und das würde eine Revolution in der Physik anfachen. Aber aus dem selben Grund sind sie auch aufgeregt. Jeder möchte dabei sein, wenn der nächste große Fortschritt in der Wissenschaft stattfindet.

Nahe der Erde ist der gravitodynamische Einfluß schwach. Das ist der Grund, warum die Kreisel von Gravity Probe B nur um 42 Millibogensekunden auswandern. Aber an anderen Stellen im Universum könnte der Einfluß der dynamischen Schwerkräfte wesentlich stärker sein. Zum Beispiel "in der nähe eines rotierenden schwarzen Loches oder Neutronensterns", erläutert Will. Ein typischer Neutronenstern packt mehr Masse als in unserer Sonne vorhanden ist in eine Kugel von nur 10 km Durchmesser und er dreht sich 100.000 Mal schneller als die Erde. Das gravitodynamische Feld könnte dort sehr stark sein.

Astronomen könnten bereits die Auswirkungen von gravitodynamischen Feldern beobachtet haben. Einige schwarze Löcher und Neutronensterne schießen helle Materiestrahlen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in's All. Diese Strahlen treten als Paare auf, die in entgegengesetzte Richtungen von den Polen der rotierenden Objekte ausgehen. Theoretiker glauben, daß diese Strahlen durch gravitodynamische Effekte zusammengefaßt und beschleunigt werden.

rotierendes schwarzes 
Loch
Oben: Links:Eine künstlerische Darstellung von Raum und Zeit, die um ein schwarzes Loch herum verdreht werden. (Abbildung: Joe Bergeron von Sky &Telescope)
Zusätzlich sind schwarze Löcher von einer Scheibe aus hineinfallender Materie umgeben, der sogenannten Akkretionsscheibe, die so heiß ist, daß sie im Röntgenbereich des elektromagnetischen Spektrums leuchtet. Es gibt starke Hinweise von Röntgenteleskopen, wie CHANDRA, daß diese Scheiben wie die Kreisel von Gravity Probe B taumeln. Sind hier auch gravitodynamische Felder am Werk? Vielleicht.

Hier in unserem Sonnensystem sind die gravitodynamischen Kräfte bestenfalls schwach ausgeprägt. Das läßt die Frage aufkommen, was wir mit den gravitodynamischen Kräften anfangen, wenn wir sie tatsächlich finden? Dieselbe Frage wurde auch vielfach im 19. Jahrhundert gestellt, als Maxwell, Faraday und andere den Elektromagnetismus erforschten. Welche Anwendung kann man daraus finden?

Heute sind wir von Ergebnissen ihrer Forschung umgeben. Glühleuchten. Computer. Waschmaschinen. Das Internet. Die Liste ist lang. Aber was wird uns die Gravitodynamik bringen? Ist es nur ein "weiterer Meilenstein auf dem Weg unserer natürlichen Suche, die Natur zu verstehen?" fragt auch Clifford Will. Oder wird es etaws unvorstellbar praktisches sein? Die Zeit wird es uns zeigen ...

Quelle: NASA Science Artikel


letzte Änderung am 21. April 2004